Overlay-Tools im Check: Schnelllösung mit Nebenwirkungen

Overlay-Tools wirken auf den ersten Blick hilfreich - doch sie schaffen keine echte Barrierefreiheit und können bestehende Probleme sogar verschärfen.

Digitale Barrierefreiheit ist ein Menschenrecht und in Deutschland gesetzlich verankert - unter anderem durch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, setzen manche Website-Betreiber auf sogenannte Overlay-Tools: Dies sind kleine Zusatzmodule, die per Mausklick Funktionen wie größere Schrift, Kontraste oder Vorleseoptionen anbieten.

Doch diese Lösungen greifen zu kurz. Die eingesetzten Skripte verändern lediglich die Oberfläche, nicht aber den Quellcode der Website und damit auch nicht deren strukturelle Zugänglichkeit. Zahlreiche Fachstellen, Behindertenverbände und internationale Organisationen warnen deshalb: Overlay-Tools überdecken Barrieren, sie beheben sie nicht - und sind keine nachhaltige Lösung.

Warum Overlay-Tools keine nachhaltige Lösung sind

Oberflächliche Lösung
Overlay-Tools adressieren meist nur sichtbare Aspekte der Barrierefreiheit, wie Farbkontraste oder Schriftgrößen. Tiefgreifende strukturelle Probleme, wie fehlende Alternativtexte für Bilder, unzureichende Tastaturnavigation oder fehlerhafte semantische Strukturen, bleiben bestehen. Automatisierte Werkzeuge erkennen und beheben lediglich etwa 20%-30% der Barrieren; der Großteil erfordert manuelle Überprüfung und Anpassung.
Beeinträchtigung assistiver Technologien
Viele Nutzer mit Behinderungen verwenden eigene assistive Technologien, wie Screenreader oder spezielle Eingabegeräte, die individuell konfiguriert sind. Overlay-Tools können diese Technologien stören oder sogar unbrauchbar machen, indem sie eigene Funktionen darüberlegen, die nicht mit den bestehenden Einstellungen kompatibel sind.
Falsches Sicherheitsgefühl
Die Verwendung von Overlay-Tools kann ein trügerisches Gefühl der Sicherheit vermitteln, dass die Website barrierefrei sei. Tatsächlich erfüllen diese Tools jedoch nicht die Anforderungen der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) oder gesetzlicher Vorgaben wie dem Americans with Disabilities Act (ADA). In den USA wurden 2023 über 900 Klagen gegen Websites eingereicht, die trotz Einsatzes von Overlay-Tools nicht barrierefrei waren. Der DBSV warnt: "Overlay-Tools bieten keine Rechtssicherheit - sie wiegen Betreiber in falscher Sicherheit."
Performance und Datenschutz
Overlay-Tools können die Ladezeiten von Websites verlängern, da sie zusätzliche Skripte laden müssen. Zudem besteht die Gefahr, dass diese Tools Nutzerdaten sammeln und speichern, was datenschutzrechtliche Bedenken aufwirft, insbesondere im Hinblick auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).

Was Betroffene über Overlay-Tools sagen

Nutzerinnen und Fachverbände weltweit warnen: Overlays verschärfen Barrieren, unterbrechen assistive Technologien und lösen keine grundlegenden Probleme.
Overlays sind nicht barrierefrei. Sie beeinträchtigen unsere Technologie, setzen unsere Präferenzen außer Kraft und geben vor, Probleme zu beheben, die eigentlich Entwicklungsarbeit erfordern.
Stellungnahme internationaler Behindertenverbände
Nachdem das Overlay geladen ist, kann ich nicht mehr über die Tastatur zum Menä navigieren. Es ist, als w¨rde die Seite meine Befehle ignorieren.
Screenreader-Nutzer auf WebAIM
Overlay-Produkte machen Ihre Site nicht konform. Sie vermitteln ein falsches Sicherheitsgefühl und richten mehr Schaden als Nutzen an.
Initiative "Overlay Fact Sheet" (600+ Fachleute weltweit)

Der Browser kann vieles längst

Viele Funktionen, die Overlay-Tools versprechen - etwa Textvergrößerung, Farbkontraste oder Vorlesehilfen - sind bereits fester Bestandteil moderner Betriebssysteme und Webbrowser. Nutzerinnen mit Einschränkungen nutzen diese integrierten Hilfsmittel gezielt und individuell. Overlay-Widgets sind in vielen Fällen nicht nur überflüssig, sondern stören sogar bewährte Assistenztechnologien.

Textvergrößerung

Alle gängigen Browser (Chrome, Firefox, Edge, Safari) unterstützen bereits systemintegriertes Zoomen und vergrößern bei Bedarf den kompletten Seiteninhalt - unabhängig von der eingebauten Gestaltung der Website.

Bildschirmleser

Programme wie NVDA, VoiceOver oder JAWS sind darauf angewiesen, dass Websites semantisch korrekt aufgebaut sind (zum Beispiel mit <header>, <nav>, <main>, <footer> und so weiter). Overlay-Tools können diese grundlegenden strukturellen Mängel aber nicht beheben - und stören im schlimmsten Fall sogar die Ausgabe durch doppelte oder widersprüchliche semantische Informationen.

Kontrastanpassung

Betriebssysteme wie Windows, macOS, Android und iOS bieten umfangreiche Darstellungsanpassungen, zum Beispiel hohen Kontrast oder Dunkelmodus. Diese greifen systemweit - und bieten wesentlich konsistentere Ergebnisse als JavaScript-gesteuerte Overlays, die sich oft mit anderen Stylesheets überschneiden.

Tastaturbedienung

Die Navigation per Tastatur ist ein essenzieller Bestandteil der Barrierefreiheit - doch wenn die zugrundeliegende Website nicht entsprechend gestaltet ist (zum Beispiel durch Tab-Index, sichtbare Fokuszustände, und so weiter), hilft auch ein Overlay nicht weiter. Browser unterstützen jedoch grundsätzlich die Tastatursteuerung, wenn die Website korrekt programmiert ist.